Unheimliche Begegnung der o-beinigen Art
„Erledigt!“, sagte er und schüttelte sich wie ein Hund, dass das Wasser nur so von ihm abspritzte.
Der Tag war durchaus vielversprechend. Zu dieser Tageszeit aber steckte er noch in den Kinderschuhen, und der für seine angenehme Temperatur bekannte Wallersee war abschreckend kalt. Kein Wunder also, dass aus dem verschlafenen Ort unweit der Bucht erst ein einziges Lebewesen angelockt worden war. Ein unauffälliger Mann mit dem beruhigenden Namen Edgar. Der hatte gerade sein morgendliches Pensum abgespult. „Zur Ablenkung“, wie er sich selbst versicherte. Um nicht ständig denselben bohrenden Gedanken ausgeliefert zu sein, die ihn Tag und Nacht im festen Griff hatten. Mit zügigen Brusttempi war er zur Marieninsel geschwommen, hatte sich eine kurze Erholung gegönnt und den Rückweg zum Strandbad in absoluter Rekordzeit bewältigt. Er war körperlich in Topform, und es bestand kein Zweifel, dass er in Kürze zum 40. Mal das KDS-Leistungsabzeichen in Gold erfolgreich ablegen würde. In Gedanken versunken trottete der Mann über den Holzsteg auf sein Badetuch zu, das er als Geschenk für den Abschluss eines Bausparvertrages von der Raiffeisenkasse Hackling erhalten hatte. „Patsch“, machte es da plötzlich, als ein unbefestigtes Brett des Holzsteges hochschnellte und ihm einen schmerzhaften Schlag auf das linke Bein versetzte.
„Aua!“, brüllte er und stampfte trotzig auf. „Eine Mausefalle ist das! – Da kann man sich ja alle Knochen brechen!“ Ärgerlich rieb er sein schmerzendes Bein und fluchte laut vor sich hin. Da kam einmal mehr der Hitzkopf in ihm durch, den er sonst den ganzen Tag unterdrückte. „Ze Fix!“, schrie er und sprang herum wie ein Verrückter. Solch einen Zorn hatte er. Selbst als der Schmerz nachließ, knurrte er noch eine Zeit lang weiter: „CHRCHRCHRCHR!“
Er war sicher, dass ihn niemand hören konnte. Trotzdem blickte er sich vorsichtshalber um, ehe er seine nasse Badehose abstrampelte. Nur kurz wollte er sich auf seinem Badetuch ausrasten und dann rasch mit dem Fahrrad in den Ort hinaufradeln, um seine täglichen Besorgungen zu machen, das Grab der Eltern zu betreuen und in seinem Haus, das genau genommen zur Hälfte seiner Schwester gehörte, nach dem Rechten zu sehen.
Als er auf den See hinausblickte, holten seine Gedanken bildlich einen der heißen Sommertage zurück, die er als Jugendlicher hier erlebt hatte, und mit ihm einen nicht weniger heißen Flirt. Genau dort drüben, unweit des Strandbades war einst das berühmte Hacklinger Seehotel gestanden. Dort hatte er das erste Mal auf der Terrasse einen Campari getrunken, und zwar mit einem schüchternen Mädchen, das so elegant und ungewöhnlich war wie sein Name. „Vier Silben und das bei lediglich sechs Buchstaben“, sagte er sich schwärmerisch vor und ließ den Namen auf seiner Zunge zergehen wie zu warmes Vanilleeis: A-ri-a-ne.
Abgebrannt und nie wieder aufgebaut. Stauden und Wildnis waren der Ersatz für das Seehotel. Dabei hatte es sogar einmal als Kulisse für den Heimatfilm Eva erbt das Paradies gedient. Es war nicht mehr da, genauso wie Edgars Jugend. Der Hacklinger Fremdenverkehrsverband suchte mit Nachdruck Investoren für einen Neubau, aber keiner wollte anbeißen und ausgerechnet hier ein Hotel bauen, wo doch in der Gegend Bewölkung und Regen das Wetter dominierten und Sonnentage so rar waren wie vierblättriger Klee. Die Ära der zahlungskräftigen deutschen Touristen, die zur Zeit des Seehotels noch als Sommerfrischler bezeichnet wurden und gegen ein etwas frischeres Sommerwetter nichts einzuwenden hatten, war unwiederbringlich vorbei. Zu billig waren die Flüge zu paradiesischen Stränden und pulsierenden Metropolen. Wer sollte da noch Interesse an einem Hotel an einem trüben Moorsee haben?
„Investoren für das Seehotel suchen sie“, murmelte Edgar grantig vor sich hin. „Die sollen erst einmal dafür sorgen, dass der Steg in Ordnung gebracht wird!“
„Und dennoch“, dachte er und blickte bezaubert auf das ruhige Wasser: „Wüsten, Dünen, Oasen – alles ein Dreck gegen die unüberbietbare Schönheit dieser Gegend um den Wallersee. Steinhaufen, Tempel, Felszeichnungen. Das alles haben wir hier nicht. Und wir brauchen es auch nicht. Denn wenn die Sonne auf- oder untergeht, da können wir mit dem Rest der Welt spielend mithalten.“
Es war schon etwas sonderbar, dass dieser nachdenkliche Mann ausgerechnet in dem Moment, in dem sich die Sonne unbemerkt hinter seinem Rücken erhob, schwärmerisch an einen Sonnenuntergang am anderen Ende des Sees denken musste. „Ein Sonnenuntergang hat zwar überall seine ganz einzigartige Stimmung“, sagte er sich, „ob du die Ufer des Nils, das Meer oder die Antennen auf den Dächern von Paris siehst. Aber mit dem Wallersee ist nichts davon vergleichbar.“
Plötzlich wurde die morgendliche Stille dumpf unterbrochen. Mitten in seiner Schwärmerei gewahrte Edgar von hinten eigenartige unrhythmische Schritte. Er war verwirrt. Die Schritte ließen keinen Schluss darauf zu, ob es sich um eines oder mehrere Lebewesen handelte, die sich da auf ihn zubewegten. Ebenso war es unmöglich, mit Sicherheit zu sagen, ob das Lebewesen zweibeinig oder mehrbeinig war. Edgar blickte weiterhin auf den See hinaus und ignorierte die eigenartigen Schritte, bis von links eine unverkennbare Gestalt in sein Blickfeld eindrang, die trotz der Entfernung nur einem einzigen Menschen auf der ganzen weiten Welt zugeordnet werden konnte, dem Biber Sepp. Der Name allein rief bei allen, die ihn kannten, zwei Assoziationen hervor: Postler und lästig. Wobei die Eigenschaft „lästig“ sicherlich weitaus dominanter war als seine Berufsbezeichnung.
„Um Gottes willen!“, entfuhr es Edgar. „Der Biber! Der geht mir gerade noch ab!“
Glücklicherweise hatte ihn der auffällige Mann nicht gesehen und marschierte geradewegs auf den Steg zu. Dabei kam er zeitweise vom Weg ab und schlenkerte in die Liegewiese hinaus. „Eingrasen und nachheuen“ war der gängige Ausspruch von Bauern, wenn sie den Gang eines O-beinigen zu beschreiben versuchten. Ja, dieser Biber Sepp, der war schon eine Sonderausgabe der Schöpfung. Edgar kannte ihn gut, so wie ihn jeder andere in der Gegend kannte. Immerhin war er einmal der Held der Hacklinger Fußballmannschaft, ein Idol der Jugend, ein Frauenschwarm und Draufgänger. Er war der Einzige, der einen Freistoß, begünstigt durch seine Beinstellung, so anzirkeln konnte, dass der Ball wie ein Bumerang Verteidiger und Tormann umfliegen konnte. Wie im Leben war er auch am Fußballfeld unberechenbar. Wenn er auf einen Abwehrspieler zukam, wusste der nicht, in welche Richtung er weiterlaufen würde, wenn er zu einem Schuss ansetzte, konnte sich der Tormann keinesfalls logisch ausmalen, in welche Richtung der Ball abfliegen würde. Jede Bewegung führte er mit unglaublicher Leichtigkeit aus und ganz nebenbei stutzte er mit seinen Beinbewegungen auch noch den Rasen. Er hatte sich in unmittelbarer Nähe des Fußballplatzes häuslich niedergelassen und versäumte kein Training und kein Spiel. Bei jedem Wetter tauchte er mit seiner roten Haube auf, und wenn er Jugendliche von seinem Fenster aus herumkicken sah, war er in fünf Minuten auf dem Platz und spielte mit, ob sie das wollten oder nicht. Dieses Fußballerleben endete mit seinem 35. Geburtstag. Dann begann für ihn ein sportlicher Lebensabschnitt, der ihn dem Rest der örtlichen Bevölkerung bekannt machte. Er gründete den Tischtennisverein, dessen langjährige Stütze er im Laufe der Zeit werden sollte, erst als Spieler, später als Trainer und Funktionär. Auch in diesem Metier hatte er sich von der Hinterliga, die Meisterschaften auf einer billigen Pressspanplatte in einer Garage austrug, bis in die Unter- und Oberliga hochgespielt. Dabei hatte er in seiner langen aktiven Laufbahn so manchen Gegner mit seiner rätselhaften Technik regelrecht zermürbt. In diesem Fall waren es nicht die unberechenbaren Beinbewegungen, die er ja für den Gegner unbemerkt unter dem Tisch ausführte, als vielmehr sein schnittiger Oberkörper, an dem die Arme so angebracht waren, dass er einem Ball von vornherein einen saftigen Drall mitgab. Als ob das nicht genug gewesen wäre, bediente er sich auch noch einer außergewöhnlichen Schlägerhaltung, die dem Gegner eine Sicht auf den Ball nahezu gänzlich verwehrte. Ausgestattet mit diesen technischen Begünstigungen und einem unerhörten Trainingseifer, hatte er so manche regionale und überregionale Meistertitel auf Jahrzehnte abonniert. Obwohl er keine internationalen Erfolge vorweisen konnte, war er doch in der Tischtenniswelt weit über die österreichischen Grenzen hinaus bekannt, weil er zu vielen Turnieren reiste und selbst als Zuschauer nicht unauffällig blieb.
Obendrein war er in allen örtlichen Gasthäusern ein oft gesehener Gast, der theaterreife Aufführungen zum Besten gab, wenn er etwas zu viel von seinem Lieblingsgetränk Sekt-Orange erwischt hatte. Sein jahrzehntelanges sportliches Leben machte es ihm sogar im reiferen Alter noch möglich, beim Moped-Italia-Gschnas, beim Feuerwehrball und beim Liedertafelball, den Großereignissen des Ortes, eine ganze Nacht lang durchzutanzen. Ja, wenn der Biber Sepp seine Energie nicht mit Tischtennis und Fußball vergeudet hätte, wäre er wahrscheinlich ein international bekannter und bei Film und Fernsehen gesuchter Tänzer geworden.
Obwohl sich Edgar und Biber bereits seit der Volksschule kannten, waren sie weiß Gott keine Freunde. Im Gegenteil, sie waren sich ein Leben lang aus dem Weg gegangen. Das war vor allem darin begründet, dass Edgar als Kind der »Wasserfallbande« angehörte, die jahrelang in Revierkämpfe mit Bibers »Stampfloch-Cowboys« verstrickt war. Ein anderer Grund war der Feuerwehrball. Dort waren sie seit jeher Konkurrenten. Zu oft war es vorgekommen, dass der schüchterne Edgar zu lange gewartet hatte, bis er den Mut fasste, ein Mädchen zum Tanz aufzufordern, und darauf das Nachsehen hatte, weil Biber sie ihm ungeniert vor der Nase wegschnappte und dann den Rest des Abends an der Bar für sich reservierte.
Seit dem Auftauchen Bibers empfand Edgar den sonst so sanften Wallersee irgendwie ein bisschen bedrohlich. Er starrte wie gebannt auf den Steg. Instinktiv richtete er sich auf und kniff die Augen zusammen. Denn genau in diesem Augenblick begann der Biber Sepp wie ferngesteuert anzutraben und immer schneller zu laufen. Trapp, trapp, trapp. Die Bretter des Holzsteges trommelten wie ein Applaus unter der dicken Hornhaut seiner hart aufschlagenden Fersen. Er donnerte in leichter Schlangenlinie dem Ende des Steges zu und tappte in die unvermeidliche Mausefalle. Edgar schreckte auf. Er ging im Kopf bereits alle Erste-Hilfe-Maßnahmen durch, die er gleich anwenden müsste. Das Brett schnellte hoch und flog in weitem Bogen in den See. Biber fing unbeeindruckt den Schwung mit seinem anderen Bein ab und just in dem Moment, wo man meinte, er würde stürzen, setzte er zu einem Kopfsprung an und tauchte mit einer Behändigkeit unter die Oberfläche des Sees, die an einen kräftigen, wenn auch ein wenig verwundeten Wal erinnerte. Nicht weniger als zwanzig Meter von der Einsprungstelle entfernt schnellte er wie ein Fisch aus dem Wasser, riss den Kopf herum, um sich seine langen Haare aus dem Gesicht zu schleudern, und pustete die Luft aus wie ein Walross. Dann folgte ein lautes Fluchen, das weithin zu vernehmen war. Für kurze Zeit ließ er sich auf dem Rücken treiben, um dann wie ein Verfolgter in Richtung Marieninsel loszukraulen.
Edgar beobachtete das Naturschauspiel mit Bewunderung. Die Entfernung zur Marieninsel war zwar für ihn kein Problem, jedoch bevorzugte er den Bruststil, mit dem er bei Weitem nicht an die Zeit der Krauler herankam. Er war die Strecke noch nie unter eineinhalb Stunden geschwommen. Deshalb blickte er auch jetzt instinktiv auf die Uhr, um zu sehen, wie schnell der Biber Sepp mit dem Kraulstil unterwegs war.
„Schade, dass kein Vertreter des örtlichen Skiklubs anwesend ist“, dachte sich Edgar, denn der hätte einen Lehrfilm über das Girlandenfahren drehen können. Genauso wenig geradlinig, wie er auf dem Steg gegangen war, schwamm der Biber nämlich, und bei jedem Luftholen imitierte er das Fliegenfangen der Fische. Ja, Gott sei Dank war zu dieser Zeit der Bootsverleih noch nicht besetzt, denn die unberechenbaren Kurswechsel des Schwimmers wären für manchen Hobbykapitän ein unüberwindliches Problem gewesen.
Edgar konnte nicht länger warten. Er machte sich daran, sich anzuziehen und zu seinem Fahrrad zu gehen. Auf dem Weg erblickte er ein Badetuch mit der Aufschrift Eduscho und sah mehrere Kleidungsstücke auf einer Staude hängen.
„Typisch Biber!“, entfuhr es ihm. „Der trägt sogar in der Freizeit seine Postuniform. Andere sind froh, wenn sie aus diesen Lumpen rauskommen, und der fühlt sich wohl darin.“ Er schüttelte den Kopf und betrachtete die blaue Posthose, die Biber an den Hosenträgern aufgehängt hatte, das elegante Posthemd, auf dem noch die Abdrücke der Wäschekluppen zu sehen waren, und die klobigen Pelzschuhe. Gerade noch hatte er sich gewundert, warum der Biber zu dieser Jahreszeit Pelzschuhe anhatte, da erregte etwas ganz anderes seine Aufmerksamkeit. Ja was war denn das? Edgar glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er das identifizierte, was in den Hosenbeinen der Posthose steckte: eine lange Untergatte. Edgar schüttelte schmunzelnd seinen Kopf und blickte auf den See hinaus. „Wie als Kind“, dachte er amüsiert „Kein bisschen verändert, der Biber. Sommer wie Winter hat er die lange Unterflak an. Was für die Kälte ist, ist auch für die Hitze. Unfassbar, der Mensch!“ Den ganzen Weg bis zu seinem Fahrrad grinste er breit. Als er sein Fahrradschloss aufsperrte, warf er noch einen Blick auf den Dschungel, wo früher das Seehotel stand. Gegenüber war die Wiese des Campingplatzes bereits bis zum letzten Platz mit riesigen Wohnwagen verstellt. Schwere Mercedes-Limousinen standen am Parkplatz. Und das in der Vorsaison.
„So kann man die Übernachtungszahlen auch erhöhen“, murmelte er ärgerlich und radelte verbissen den steilen Berg hinauf. Erst trat er langsam in die Pedale, als er sich aber warm gefahren hatte, erwachte mit den ersten Schweißperlen auf seiner Stirn der Ehrgeiz in ihm. Er erhob sich kraftvoll aus dem Sattel und riss den Lenker wild hin und her. Sein Kampf mit dem Berg hatte ihn gleich so gefangen, dass er gar nicht bemerkte, dass ihm der Wirt des Gasthauses »Rindenmühle« „Beste Zwischenzeit, Edgar!“ zurief und winkte. Edgar hatte nur die Bergkuppe im Auge. Erst dort würde er das Rad genussvoll ausrollen lassen. Er fuhr am Rande seiner Leistungsfähigkeit. Wie immer. Wahrscheinlich hatte er den Berg zu schnell angegangen. Edgar dachte schon an Aufgabe, aber nur flüchtig. Äußerst selten hatte er am Berg aufgegeben. Nein. Das durfte er nicht! Wie würde das aussehen? Absteigen und schieben. Niemals. Er trat wieder mit voller Frequenz. Aber was war das? Als er das Ende der Steigung schon beinahe erreicht hatte, hörte er den jämmerlichen Ton eines gequälten Mopeds von hinten auf sich zukommen. Er drehte sich besorgt um, weil der ständig sich verändernde Ton von einer ungleichmäßigen Fahrspur zeugte. Jetzt war er aus dem Tritt gekommen. Edgar hielt an und schaute sich die Sache genauer an. Der Mann auf dem Moped war der Biber Sepp, der gerade noch das Wasser unsicher gemacht hatte. In derselben Girlandenspur, die er auf dem Wasser gezogen hatte, peinigte er jetzt das betagte Gefährt die unbarmherzige Steigung hinauf. Nur durch geschicktes Hin- und Herlenken und einfühlsames Mittreten bewahrte er den Motor vor dem Absterben.
Als er auf Edgars Höhe war, rief ihm der Mopedfahrer zu: „Willst du dich festhalten?“
Edgar traute seinen Ohren nicht. Er hätte eher erwartet, er würde ihn bitten, ihn zu schieben. So rief er zurück: „Nein danke! Das ist ja verboten!“
Darauf der Sepp: „Nicht für uns, wir sind ja schon alt genug. Wir können uns das erlauben.“ Und schon heulte der Motor auf, weil Biber kurzfristig bergab fuhr, um sich Edgar von hinten wieder zu nähern. Der Wirt der »Rindenmühle« war auf den Balkon gegangen, um besser zu sehen.
„Los, halt dich fest!“, rief der Biber Sepp wieder.
Jetzt packte ihn Edgar tatsächlich am Arm und radelte unterstützend mit. Die beiden brauchten die ganze Straßenbreite. Sie traten mächtig in die Pedale und der Motor würgte sich mit der Drehzahl eines 18er Steyr-Traktors.
Noch bevor die Anhöhe überwunden war, hatte das Gejaule des Motors ein abruptes Ende. Der Wirt der »Rindenmühle« schickte seine Frau um einen Feldstecher.
„Reiber“, diagnostizierte Edgar blitzschnell.
Der Biber schaute verwegener drein als beim Finale des letzten Meisterschaftsspiels und knallte sein Moped mit einer atemberaubenden Beinkombination auf den Ständer. Dann sank er wie ein Schwerverletzter auf eine Sitzbank neben der Straße nieder und verdeckte wortlos sein Gesicht mit den Händen.
„Juijuijuijuijui! Das ist garantiert ein Kolbenreiber“, präzisierte Edgar seine Diagnose, stellte sein Fahrrad ab und bückte sich zum Motor.
„Da kannst du eine Eierspeise darauf machen, so heiß ist der. So einen alten Henastauba darfst du doch nicht so schinden. – Du bist vielleicht ein wilder Hund, Biber.“
„Ach was, tu dir nichts an. Wenn der Motor ausgekühlt ist, geht er wieder. Du wirst sehen.“
„Das glaube ich nicht, Biber. Das ist ein Postlermoped. Das lässt sich nicht treiben.“
„Das muss ausgerechnet ein Eisenbahner sagen!“, entgegnete Biber.
„Sogar Lokomotiven müssen mit Gefühl gefahren werden. Und alte Lokomotiven mit noch mehr Gefühl“, erklärte Edgar.
„Ich nehme auf die alte Kiste keine Rücksicht mehr“, schimpfte Biber. „Auf mich nimmt doch auch keiner Rücksicht, weil ich alt bin. Was glaubst du, wie die bei der Sternfahrt jeden Tag ihre alten Eisen treten.“
„Was, du nimmst an der Sternfahrt teil?“
„Jeden Tag in der Früh zum Bahnhof. Wie fast jeder andere Hacklinger auch. Ein tolles Rennen.“
„Ach deshalb habe ich bei deinen Sachen eine lange Untergatte gesehen.“
„Ha! Auf was du alles schaust! Aber mit der Mopedfahrerei habe ich mir eine Reizblase eingehandelt.“
In diesem Augenblick fuhr ein Pritschenwagen der Marktgemeinde Hackling an den beiden vorbei. Betont langsam. Im Schritttempo. Zwei Männer saßen drin. Der provokant grinsende Fahrer, der Neffe des Gemeinderates Glatt, kurbelte das Fenster herunter und sagte laut: „Da sitzen sie, die Herren Sommerfrischler, und wir wissen nicht, wo wir zuerst mit der Arbeit anfangen sollen!“ Dazu tat er mit der Hand so, als wolle er sich die schöne Badehose mit Gürtel schnappen, die Biber auf dem Rückspiegel seines Mopeds zum Trocknen aufgehängt hatte.
Edgar beherrschte sich, aber Biber brüllte zurück: „Am besten gleich bei der Bank da! Die ist ja seit Jahren nicht mehr gestrichen worden. Kein Wunder, dass wir keine Touristen im Ort haben!“
„Keine Touristen? – Siehst du schon so schlecht, dass dir die vielen Wohnwägen am Campingplatz nicht aufgefallen sind?“, ätzte der junge Glatt-Neffe mit einer Stimme, die unheimlich versoffen klang, und gab Gas. Als der Pritschenwagen schon lange vorbei war, sagte Edgar zu Biber: „Ausgerechnet der muss sein Maul aufreißen. Der Neffe vom Glatt.“
„Da wirst du froh sein, dass du seinen Onkel aus dem Haus hast, was?“
„Todfroh, Biber! Wenn ich nur daran denke, dass der einmal mein Schwager war! – Und genau der hat seinem Neffen den Nebenjob bei der Gemeinde verschafft, dem Herrn Jus-Studenten. Das war nicht sauber, wie dieser Julius die Aufsicht über den Campingplatz und den Bootsverleih bekommen hat. Der faule Hund reißt sich bei der Arbeit keinen Haxn aus – und die anderen hält er davon ab!“
„Darauf kannst du Gift nehmen!“, gab ihm Biber recht. „Die Gemeindearbeiter haben immer brav gearbeitet. Die Bänke waren früher tipptopp. Da haben sich die Sommerfrischler gerne hingesetzt.
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