So ein Frechdachs!
Der Karlmetzger Hias war ein begnadeter Geschichtenerzähler. Damit er immer wieder neue Geschichten erzählen konnte, musste er sie natürlich auch erleben. Die meisten Geschichten erlebte er bei der Jagd. Und wenn man die folgende Geschichte im nachhinein analysiert, ist sie eine der wenigen, von denen man mit ziemlicher Sicherheit annehmen kann, dass sie nicht absichtlich und nur zu dem Zwecke erlebt worden ist, dass sie später umso dramatischer erzählt werden konnte.
An einem prachtvollen Tag war der Hias in voller Jägermontur mit seinem Freund und Jagdkollegen, dem Neumarkter Dentisten, im Wenger Moor unterwegs. Der Wallersee glänzte beschaulich, und in der Ferne waren die salzburgischen wie auch die bayrischen Berge zu sehen.
Da das Augenmerk der Jäger einem Dachs galt, der sich meist in einem Bau mit einem undurchschaubaren Röhrensystem aufhält, war selbstverständlich der getreue Wichtl mit von der Partie. Ein Dackel wie er war in der Jägerschaft als „Dachshund“ schlechthin bekannt.
Da der Dachs offensichtlich seinen Bau zum Zwecke der Futterversorgung verlassen hatte und sich stundenlang nicht blicken ließ, hatten die Freunde genügend Zeit, den schönen Tag in der Natur zu genießen und eine sättigende Jause zu sich zu nehmen. Obwohl vom Dachs weit und breit keine Spur zu sehen war, drillte der Hias das rasche und leise Laden seines Gewehrs mit dem Mauser Verschlusssystem. Auch sein Freund verwendete das gleiche System. Hias hatte ihm erst vor kurzem zu diesem Verschluss geraten. Unter Jägern galt er als der bewährteste überhaupt. Aber der Dentist konnte einfach nicht gut genug damit umgehen. Jedenfalls bei weitem nicht so gut wie der Hias.
„Da ist dir der Dachs dahin!“, rief der Hias, „wenn du so lange zum Laden brauchst!“
Sie plauderten angeregt über die Jagd und die Arbeit. Hias hob die Notwendigkeit hervor, den Dachs, der ein gefährlicher Nesträuber ist und keine natürlichen Feinde mehr hat, zur Strecke zu bringen. Der Dentist stellte dem die Wichtigkeit gegenüber, die eigenen Zähne so lange zu erhalten wie möglich.
„Der Zahnersatz ist sauteuer und lange noch nicht ausgereift“, sagte der Dentist und lobte den Hias, weil er seine Zähne so gut in Schuss hatte. Hias war froh darüber. Er pflegte seine Zähne aus dem Grund so peinlich genau, weil sein Freund, der Dentist, Berichten zufolge horrende Preise für seine Arbeit verlangte und für seine etwas härtere Gangart bei der Behandlung berüchtigt war. So soll ein Patient aus Henndorf einmal nach einer Zahnextraktion vor Schmerz bis zum Eggerberg zu Fuß gelaufen sein. Dann musste der arme Teufel den weiten Weg zurücklaufen, weil ihm der Wirt mit dem Spiegel gezeigt hatte, dass der Zahn noch immer drin war.
Das Hauptgeschäft des Dentisten war die Entfernung von Weisheitszähnen, von denen jeder Neumarkter mindestens vier hatte. In seiner grobschlächtigen Praxis hatte der Dentist keinerlei beruhigende Zertifikate hängen wie andere Zahnärzte. Im Warteraum lagen lediglich Jagd Zeitschriften und der Rupertibote. Sein Riemen-betriebenes Bohr-Instrumentarium schepperte wie ein Presslufthammer. Er hatte zwar eine Assistentin, aber zur Speichelabsaugung gab es noch kein Gerät. Was schmerzlindernde Spritzen betraf, so durfte er sowieso keine geben, weil er ja kein Arzt war. Zusammenfassend gesagt war also die Praxis alles andere als einladend. Ja selbst heute noch können wir mit etwas Phantasie die Effizienz seiner Arbeitsweise nachvollziehen, wenn wir historische Gruppenbilder aus den Jahren seines Wirkens betrachten. Ob Feuerwehr, Goldhauben, Trachtengruppe oder Turnverein, es gab keine lachenden Gesichter, bei denen die Zähne gezeigt wurden. Nicht einmal bei Hochzeitsbildern und Passfotos. Die Männer ließen sich buschige Schnurrbärte wachsen, und die Frauen gewöhnten sich ein verhaltenes Reden und Schmunzeln an, das mit der Zeit sogar etwas Anziehendes, Gewinnendes, ja zumindest etwas Sympathisches hatte. Am kokettesten wirkten die Damen, die sich beim Lachen sogar die Hand vor den Mund hielten und seitlich zu Boden schauten.
Um auf den Hias zurückzukommen, brauchen wir uns also nicht zu wundern, dass er damals eine sehr geringe Neigung verspürte, geschäftlich mit seinem Jagdfreund zu tun zu haben.
Aber beim Wirt und bei der Jagd waren die zwei ein Herz und eine Seele und hatten so auch nach dem erfolglosen Tag einstimmig beschlossen, das Revier unverrichteter Dinge zu verlassen und beim Karlwirt einzukehren.
Genau in diesem Moment wurde Wichtl unruhig.
„Er hat den Dachs im Wind!“, sagte Hias.
Wichtl säbelte auf den Heustadl zu, vor dem sie gejausnet hatten.
„Da ist er“, schrie der Hias, und auch der Dentist hatte den frechen Dachs sofort erblickt, der seelenruhig vor der Tür saß und dreinschaute, als ob er sich freute, dass endlich jemand gekommen war, über den er sich lustig machen konnte. ….